Die Ehe dieser Schwester mit Onkel Heini war schon geschieden worden zu einer Zeit zu der ich noch nicht mal auf der Welt war. Onkel Heini hat dann irgendwann wieder geheiratet und da sich alle sympathisch waren wurde dieser Kontakt aufrechterhalten.
Mehrere Male im Jahr besuchten wir Tante Friedel und den Onkel. Ich freute mich immer auf den Besuch bei den beiden alten Leuten. Schon allein der Grund dass es dort Kuchen mit Schlagsahne gab, war ausschlaggebend für meine Begeisterung. Bei uns zu Haus gab es zwar Sonntags auch Kuchen aber das war ein angerührter Sand - oder Marmorkuchen. Bei Tante Friedel dagegen gab es Torte. Etwas ganz besonderes für die frühen 50er Jahre.
Diese Besuche waren immer schon lange zuvor geplant. Da es kein Telefon gab, schrieben die Eltern Karten.
Wir mussten eine Weile mit der S-Bahn fahren um in den Wedding zu gelangen. Die Ringbahn war im Krieg zerstört worden und wir wohnten im Südwesten Berlins.
Das Haus allein schon war wunderbar. Eine richtige große Stadtvilla, mit Putten, welche die Balkone trugen. Einfach wunderschön. Die Haustür stand immer offen. Wobei das Wort Haustür nicht ganz zu traf. Es handelte sich eher um ein Portal. Im Treppenaufgang befanden sich Marmorsäulen und das Geländer war aus herrlich gedrechseltem Holz gearbeitet. Die Wohnungstür hatte keine Klingel, sondern einen Klopfer in Form eines Löwenkopfes. Ich durfte den laut klopfend betätigen.
Tante Friedel war eine große stattliche Frau mit einem eher männlichen Gesicht. In einem schwarzen Rock und einer weißen Spitzenbluse, die oben am ersten Knopf mit einer Brosche aus Bernstein zusammengehalten wurde, sah sie aus wie Adele Sandrock, die ich aus alten Filmen kannte. In diesem Bernstein war ein kleiner Käfer eingeschlossen. Der tat mir immer so Leid und ich machte mir so meine Gedanken um ihn wie er da wohl zu Tode gekommen war.
Lächelnd stand sie in der Tür und geleitete uns ins Wohnzimmer. Wir durften nach dem wir im Flur abgelegt hatten uns auf das alte mit dunkelrotem Samt ausgeschlagene Sofa setzen. Über meinem Kopf befand sich ein Spitzendeckchen mit der Aufschrift :
Nur ein Viertelstündchen.
Vor dem Sofa stand ein großer Esstisch mit gedrechselten Stühlen deren Polster ebenfalls mit rotem Samt ausgeschlagen waren. Ich bekam zwei Kissen unter meinen Po geschoben, damit ich an den Tisch heranreichte.
Tante Friedel hatte den Tisch mit feinem chinesischem Porzellan gedeckt. Die Tischdecke hatte viel Fransen aus denen ich immer Zöpfe flocht wenn gerade niemand hinsah. Erwünscht war das nicht unbedingt, da es eine Menge Arbeit machte die Knoten nach meinem Besuch wieder aufzuknüppern wie mir meine Mutter dann jedesmal aufs Neue auf dem Nachhauseweg erklärte.
In der Ecke stand die große Standuhr, die alle halbe Stunde mit warmem Klang schlug.
Über dem Büfett hingen zwei Centauren aus Messing, die mich irgendwie faszinierten. Die ganze Wohnzimmereinrichtung bestand aus Möbeln der Gründerzeit und Tante Friedel hatte sie von ihren Eltern übernommen.
Jetzt gab es für die Erwachsenen Kaffee und für mich einen großen Topf mit feinster Schokolade und natürlich die Torte mit Schlagsahne. Sie war obligatorisch. Nach dem Kaffee trinken holte Tante Friedel aus dem Vertikov das Dominospiel mit dem ich mich nun beschäftigte. Das tollste aber an diesen Besuchen kam, wenn Onkel Heini aufstand, zum Klavier ging, den Deckel hochklappte und ein paar Operettenmelodien anstimmte. Tante Friedel stellte sich neben ihn und begleitete ihn gesanglich dabei. Ich war jedes Mal restlos begeistert und freute mich schon auf den nächsten Besuch.


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