Sonntag, 15. November 2009

Onkel Hans

Onkel Hans war nicht mein Onkel.
Er war der ewige Verlobte meiner Tante Dolly, die auch nicht Dolly sondern Gerda hieß. Diesen Namen lehnte sie jedoch total ab.
War ich mit Tante Gerda allein, so bestand diese darauf, dass ich sie Dolly nannte. War meine Mutter zugegen, so legte die wiederum Wert auf „Tante Gerda“. Auch Onkel Hans musste „Dolly“ sagen.
Meine Mutter fand dieses Verwirrspiel um den Namen Dolly absolut affig. Nannte die feinen Netze, die Tante Dolly über ihrer Frisur zum Schutze gegen Sturm und Regen trug, immer leicht abfällig Kartoffelnetze.
Diese Tante war eine Cousine meiner Mutter und stammte ebenfalls aus Schlesien. Wie fast alle Berliner dieser Generation aus Schlesien oder Pommern kamen.
Verlobt war sie mit Onkel Hans schon seit ca. 30 Jahren. Was einer Heirat im Wege stand, war, dass Tante Dolly im Westen Berlins in Wilmersdorf wohnte, bei der BFA arbeitete (Rentenversicherung) und Onkel Hans lebte und wohnte in Ostberlin.
Die kleine Geschichte, die ich hier erzähle, spielt in den Fünfzigern. Also noch vor dem Mauerbau. Tante Gerda war damals etwas über 50 Jahre und Onkel Hans als Teilnehmer des 1. Weltkriegs an die 80 Jahre alt.
Tante Gerda wäre nie in den Osten gezogen und Onkel Hans wollte seinen Friseursalon im anderen Teil der Stadt um keinen Preis der Welt aufgeben. Er brauchte seine Eigenständigkeit. Er wusste genau, wie seine Dauerverlobte zu diesem Unikat von Laden stand und mit Aufgabe des Geschäfts hätte sie ihn unter ihrer Fuchtel gehabt. Und das wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Onkel Hans war Friseur.
Und der Salon befand sich unter den S-Bahn Brücken des Bahnhofs Jannowitzbrücke. Nicht weit vom Zentrum des Berliner Ostens entfernt. Das Skurrile des Ladens war, dass er nur über einen einzigen Bedienungsstuhl verfügte. Onkel Hans war Herrenfriseur. Trotz seines hohen Alters hatte der Onkel eine ganz ruhige Hand. Und die brauchte er auch dringend. Wenn nämlich über ihm die S-Bahn alle drei Minuten in beiden Richtungen hinwegrauschte, kam es zu solchen Erschütterungen, dass der große Spiegel an der Wand zu klappern begann und der alte Lederstuhl auf dem man saß, ebenfalls in leichte Bewegung geriet.
Ich musste das wissen. Denn ich war die einzig weibliche Kundin bei Onkel Hans im Laden. Ansonsten sah ich da immer nur alte Männer sitzen, die sich nicht nur die Haare schneiden, sondern mit Hilfe eines scharfen Messers auch noch rasieren ließen. War gerade Kundschaft im Laden, wenn ich mit meiner Mutter dort anmarschierte, so mussten wir draussen vor der Tür im Bahnhofsdurchgang warten. So viel Platz war im Inneren des Geschäftes nicht.
Von Zehlendorf war es eine halbe Weltreise dorthin. Aber meine Mutter schlug sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe bei diesen Friseurbesuchen.
Zum Ersten tauschte sie in der Westberliner Wechselstube eine DM im Kurs 1: 8 um, bekam folglich 8 Ostmark dafür. Die Fahrkarte kostete 20 Pfennig West. Die Berliner S-Bahn gehörte zur Reichsbahn und die wiederum gehörte der DDR. Das sagte man aber nicht, sondern man sprach von der Ostzone oder der Sowjetisch besetzten Zone. (SBZ). Der Friseurbesuch selbst, den meine Mutter beim Onkel bezahlte kam 50 Pfennige Ost.
Eine telefonische Verbindung gab es nicht, also verabredete man sich gleich auf diese Weise für ein kommendes Wochenende.
Ich mochte Onkel Hans nicht nur, weil er lustig war, sondern auch weil er all meinen Puppen aus echtem Menschenhaar Perücken in verschiedenen Haarfarben verpasst hatte. Normalerweise waren Puppen zu dieser Zeit aus Zelluloid. Meine auch. Aber zum Zwecke dieser Veredelung bekamen sie neue Köpfe. Auch diese fertigte der Onkel an. Hannelore hatte nun dunkelblondes dauergewelltes Haar. Gisela trug hellbraune Zöpfe und Christel einen weißen Bubikopf. Man konnte diese Haare waschen, ihnen Lockenwickler eindrehen und ihnen auch mal einen neuen Haarschnitt verpassen. Was allerdings von meiner Mutter unter Androhung schärfster Strafmassnahmen verboten war. Dann musste sie nämlich mit der Puppe wieder zur Janowitzbrücke fahren und Onkel Hans wurde zum Chirurgen und öffnete Hannelore, Gisela oder Christel die Schädeldecke. Das Puppenkind blieb dort und der Onkel versprach mir hoch und heilig, dass mein Kind nach dieser Operation in seiner Wohnung in einem schönen weichen Bettchen auf seine völlige Gesundung warten würde, bis wir es nach diesem schweren Eingriff wieder mit neuer Frisur abholen könnten. Damals hatte man noch Illusionen und glaubte das, was einem die Erwachsenen sagten.
Manchmal durfte ich auch bei Onkel Hans übernachten. Das war in sofern toll, als dass er eine alte Waage mit vielen Gewichten besaß.
Damit konnte ich mich den ganzen Tag beschäftigen. Es gab jede MengeTassen und Töpfe, Teller und Besteck abzuwiegen und in ein kleines Notizheft, dass er mir gekauft hatte einzutragen, was das einzelne Gewicht der vielen Objekte gewesen war.
Onkel Hans saß Abends mit mir am Küchentisch und wir spielten Halma. Ich fragte ihn dann immer nach Geschichten aus dem ersten Weltkrieg, den er in Frankreich teilweise verbracht hatte. Es waren keine schrecklichen Geschichten. Tote kamen da überhaupt nicht vor. Es ging eher um hübsche Französinnen und um Besuche in tollen Cafe`s.
Als ich das mal zu Haus meinem Vater gegenüber erwähnte, durfte ich nicht mehr bei dem alten Onkel übernachten. Er fand die Gespräche, die wir da führten nicht unbedingt kindgerecht.

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